Irrsinn mit Hintersinn
Georg Büchners „Leonce und Lena" in Hanau: Milder Spott über einen Königshof in Absurdistan

Von Pamela Dörhöfer

Diese netten Bösartigkeiten, in anmutige Sätze gekleidet, aber nicht zu überhören. Diese Wortkaskaden, in denen sich der Spott ergießt; elegant und sperrig zugleich. Georg Büchners Komödie Leonce und Lena ist kein leicht zu greifendes Stück, viel mehr als nur eine Satire auf verkrustetes Hofleben. Die gesellschaftlichen Verhältnisse der Zeit sind ebenso Thema wie die Sinnsuche des modernen Menschen, der die Sicherheit eines religiösen Weltbildes verloren hat wobei der Zuschauer eigentlich nie sicher sein kann, wie ernst es dem Autor gerade ist. Büchner gewandet das alles in ein märchenhaftes Sujet: in die Geschichte von zwei Königskindern, die zueinander finden, obwohl sie ausgerechnet das nicht wollten. Auch diese Verpackung war es, die Franz Wacker, seit Jahren einer der Protagonisten der Hanauer Märchenfestspiele, gereizt hat, Leonce und Lena mit einigen Kollegen zu inszenieren zwar mit Unterstützung des Freilichtfestivals, aber finanziell auf eigenes Risiko. Das Stück hatte am Mittwoch im Philppsruher Amphitheater Premiere und soll nun auf Tournee gehen.
Dem Ensemble ist die Umsetzung des vielschichtigen Stoffes erstaunlich gut gelungen: Die Inszenierung kommt bewusst schlicht daher, ohne jeden Schnörkel, richtet das Augenmerk ganz auf die Sprache eine Herausforderung für Regie und Schauspieler, dient diese in Leonce und Lena doch weniger dem Transport von Informationen, denn als Medium schier endloser Selbstreflexionen; nicht unbedingt tiefschürfender zumal. Oft scheint's der blanke Nonsens, was Leonce und den Seinen verbal entfleucht, ein Irrsinn mit Hintersinn freilich. Doch das Zuhören strengt nie an, es ist eine Lust, die geforderte Konzentration aufzubringen.
Die Inszenierung stellt aktiv keine aktuellen Bezüge her, weder zur Existenzkrise noch zum hohlen Geschwafel der Regenten jedweder Zeiten; der Text spricht für sich. Das Ensemble widersteht auch der Versuchung, das Lustspiel ins Klamaukhafte abgleiten zu lassen, keine der Figuren wird bis ins Fratzenhafte überzeichnet. Die Sicht von Regisseur Franz Wacker ist eher ironisch, nicht beißend und zynisch, sein Spott milde. So vermag der minderbemittelte König in seiner Lächerlichkeit fast anzurühren; Wacker selbst gibt den trotteligen Potentaten, der sich laut ans Denken erinnern muss, mit Wonne. Um ihn herum schwirren nicht weniger skurrile Figuren, fast noch erstarrter als ihr König: der salbadernde Präsident (quälend gut: Werner Rech) oder der schleimige Landrat (Günther Hauptkorn) etwa.
Auch Königssöhnchen Leonce, dem Papa den Thron vererben und eine fremde Prinzessin als Ehefrau verpassen will, ist nicht gerade ein Sympathiebolzen. Alexander Morandini spielt den wenig märchenhaften Prinzen mit dem Gestus des gelangweilten Müßiggängers und Snobs, changierend zwischen Selbstmitleid, Resignation und einer verschütteten Fähigkeit zu echtem Gefühl. Mit seinem ewig hungrigen Begleiter Valerio, der ihn immer wieder aus exzessivem Schwelgen in Höhen und Tiefen reißt, bildet er ein wunderbares Gegensatzpaar. Denn Christof Fleischer ist mit seiner kratzigen Stimme und den koboldhaften Bewegungen in Commedia dell'Arte Manier ein herrlicher Widerpart zum äußerlich geschmeidigen Prinzen.
Lena (Thordis Howe) und ihre Gouvernante (Ingrid Hoffmann) haben Mühe, mitzuhalten; Büchner hat sie ja auch etwas stiefmütterlich bedacht. Hauptsache, Leonce verliebt sich heftig in die Hübsche, die er schließlich ehelicht, ohne ihre Identität zu kennen und damit unfreiwilligfreiwillig dem Wunsch des Vaters entspricht. Am Ende also Resignation und Bestätigung der bestehenden Verhältnisse? Ein Happy End, weil sich die Liebenden gekriegt haben? Oder einfach Absurdistan? Die Inszenierung gibt keine Hilfe, es darf sich jeder selbst seine Gedanken machen; wie der Büchner das wohl gemeint hat.