Der Kuckuck von Theben legt eine theatralische Punktlandung hin
Perfektionistische Inszenierung von Kleists „Amphitryon“ auf dem Auerbacher Schloss / Glücksgriff für regionale Kulturszene

Auerbach. Wenn die Götter des – bekanntlich windstillen – Olymps ihren frivolen Gelüsten frönen und der Menschheit mal wieder in die Liebschaften pfuschen, dann ist das auf jeden Fall einen literarischen Kommentar wert. Leider werden die klassischen Ehebrüche, Inzeste und Vergewaltigungen oftmals von einem vermeintlich modernen Regieverständnis weggepustet. Wo man antiken Mief auslüften will, bleibt nicht selten zeitgenössischer Gestank zurück.

Das wetterfühlige Publikum auf dem Auerbacher Schloss wurde von Aeolus’ Launen zwar nicht verschont, sah aber eine Premiere, die besänftigender kaum hätte ausfallen können. Ohne die wunderbare Patina des Originals in ignoranter Gefallsucht wegzupolieren, konzentriert sich das Ensemble auf die sprachliche Brillanz die szenischen Besonderheiten des „Amphitryon“. Der ursprüngliche Wortwitz wird in dezenter Pracht vorgetragen und nicht durch einen pompös-verulkten Tamtam totgeschlagen.

Am Sonntag war die Premiere zu einem Theaterfest, das für die regionale Kulturszene ein echter Glücksgriff werden könnte. Mit seiner unbestreitbar wunderbaren Kulisse ist das Auerbacher Schloss in der aktuellen Sommersaison perfekter Spielort eines ambitionierten Schauspielprojekts: Die Hanauer Theaterproduktion Hoffmann-Wacker wird das Schloss mit einer Reihe von klassischen Inszenierungen und namhafter Schauspieler bereichern. Mit Heinrich von Kleists Lustspiel nach Molière hat das Ensemble jetzt eine viel versprechende Ouvertüre inszeniert.

Nach der Pause suchte auch der Schirmherr des Projekts, Landrat Matthias Wilkes, die wärmende Ausstrahlung der mobilen Heizgeräte auf. Es war kalt im schönen Schlosshof und die Premieren-Götter stellten das Publikum auf eine harte Bewährungsprobe. Doch die hartnäckigen Theaterfreunde blieben gut beschirmt und wollbedeckt zwischen alten Mauern sitzen und sahen ein göttliches Zänkespiel mit herzerwärmender Gefühlsverwirrung.

Es sind die emotionale Not und die nagenden Selbstzweifel, die Kleist mit tiefsinnigen Parodien und herrlich komischen Identitätsverlusten paart und so ein Stück baut, das mit so vielen seelischen Qualen und körperlichen Prügeln durchsät ist, dass man sich am Besten in die frivolen Handgreiflichkeiten der Götter hineinkuschelt und dieser ins Mythische verklärten Gesellschaftskritik mit einem gewissen Grad an „Selber schuld“-Mentalität zuschaut.

„So früh zurück?“

Der olympische Betrug beginnt mit der Täuschung Alkmenes, in deren Bett sich Jupiter (oder Zeus) als falscher Gatte Einlass verschafft – die freche Kopulation Sterblicher war ja schon immer ein Hobby der antiken Divinität. „So früh zurück?“, fragt die ahnungslose Geschändete, als sich der echte Amphitryon am nächsten Morgen daheim in Theben zurückmeldet und die Lobpreisung seiner libidinösen Qualitäten als rechte Verarschung auffassen muss.

Der Witz an der Sache ist, dass auch Alkmene säuerlich reagiert, weil der Gatte sich an nichts mehr erinnern kann und jeden Vollzug abstreitet. Und sogar der göttliche Kuckuck von Theben ist enttäuscht, weil Alkmene ihn nicht als Gott, der er ist, sondern als verhüllten Ehegatten liebt.

Der glamourösen Haupthandlung unterstellt ist die übliche Dienstboten-Version: Der Götterbote Merkur (oder Hermes) schlüpft in die Gestalt des Dieners Sosias, möchte sich aber nicht auf dessen Gattin Charis stürzen, was diese wiederum herzlich kränkt: Zu gerne wäre sie untreu geworden mit dem Götterboten und lässt ihren Ärger am armen Männlein aus: „Gut, dass ich das weiß, so wird die Bratwurst heute dir nicht heiß!“

Wortwitz, komische Possen und eine verspielt-heitere Dramaturgie lassen die Inszenierung unbemüht, aber nicht allzu leichtfüßig wirken.

Dafür legt Regisseur Franz Wacker, der auch den Jupiter gibt, zu viel Wert auf die Abstinenz jeder Beflissenheit und eine sorgfältige Gliederung der Szenen, die mit einem großen Satz an Gesten und Zeichen versehen sind und auch dann noch behutsam gespielt werden, wenn die Story dann und wann zu eskalieren droht.

Die gescheiterte Liebe Jupiters zu Alkmene, die als emotionale Gotteslästerung verstanden werden darf, lässt den Gottesvater die ganze Macht der Liebe spüren: „Auch der Olymp ist öde ohne Liebe“. Nur als Mensch kann sich Jupiter die Gunst Alkemenes ergaunern: Auch der Gott muss sich der Liebe unterwerfen und damit gleichsam sich selbst, denn Jupiter steckt in allem, auch in der Liebe.

Der Gehörnte Amphitryon wird zum Begnadeten, der zuvor von einer göttliche Version des Ich betrogen wurde. Menschliches und Göttliches verschmelzen in mythischer Bildhaftigkeit. Alkmenes vieldeutiges „Ach!“ setzt dem Stück die Krone des Selbstfindungswettbewerbs auf. Und Jupiter verspricht dem Paar, die göttlichen Kalamitäten durch die Geburt des Sohnes Herkules zu tilgen.

Der seiner Identität beraubte Amphitryon wird von Alexander Morandini mit einer satten Dosis seelischer Qualen versehen, in der Rolle der Alkmene glänzt Michaela Wiebusch in zweifelnder Unschuld. Als Anheizer der tragisch-komischen Paradoxien wirken ein verschreckter Christof Fleischer (Sosias) und Ulrich Keller als fieser Merkur. Als Charis ist Ingrid Hoffmann zu sehen.

Witz, Tiefgang und sprachliche Ästhetik. Das Hanauer Ensemble hat die keineswegs leichte Aufgabe einer Neuinszenierung des „Amphitryon“ in perfektionistischer Wertschätzung gelöst.


tr (BA)